Leseproben der 14. Auflage
173 Die verwaltungsrechtliche Klausur im Assessorexamen in Niedersachsen Gaus/Padberg/Kaiser
Auch für die Änderungsgenehmigung gelten Fristen. Eine Genehmigungsfiktion wird durch den Fristablauf allerdings nicht ausgelöst. Der Antragsteller kann aber gemäß § 14a BImSchG beschleunigt Untätigkeitsklage erheben.
Einen vorzeitigen Beginn im Anlagenbau ermöglicht § 8a BImSchG. Bei berechtigtem Interesse des Antragstellers und einer zu erwartenden Entscheidung im Antragsverfahren zu seinen Gunsten kann er einen Antrag auf Zulassung des vorzeitigen Bauens stellen, sobald das Genehmigungsverfahren eingeleitet wurde. Das Maß der zuzulassenden Maßnahmen wächst dabei mit dem fortschreitenden Verfahren und seinen Erkenntnissen. Neben dieser Zulassung ist eine Baugenehmigung nicht erforderlich. Die einzuholende Stellungnahme der Baubehörde muss vielmehr in der Zulassungsentscheidung berücksichtigt werden.Für den Fall, dass die Anlage doch nicht genehmigt wird, muss sich der Antragsteller zum Schadensersatz und Wiederherstellung des früheren Zustandes verpflichten.
- Die Steuerungsinstrumente samt Rechtsgrundlagen des BImSchG sind bei
- Genehmigungspflichtigen Anlagen (ausschließlich nach BImSchG)
- Nebenbestimmungen, § 12 BImSchG
- Nachträgliche Anordnungen, § 17 BImSchG
- Widerruf der Anlagengenehmigung, § 21 BImSchG
- Verbot bei Illegalität, § 20 BImSchG
- Genehmigungsfreien Anlagen (BImSchG und allg. Ordnungsrecht)
- Nachträgliche Anordnung, § 24 BImSchG
- Betriebsverbot, § 25 und § 25a BImSchG
- Beachte: zusätzlich allgemeines Ordnungsrecht neben BImSchG-Regeln, § 22 Abs. 2 BIm- SchG
Die Kosten für Maßnahmen richten sich nach Ziff. 44 der Anlage zur AllGO.
Luftreinhaltepläne, Fahrverbote, Immissionsschutz
Das BVerwG hat mit mehreren Entscheidungen zu Fahrverboten nach BImSchG die Regelungen der Luftreinhaltepläne in die öffentliche Diskussion gebracht. Ähnlich entschied inzwischen der EuGH (Urt. V. 3.10.2019, RSC-197/18, Rn. 72,73 zu österreichischen Nitratplänen. Das Problem in Kürze:
Mit Urteil vom 05.09.2013 (7 C 21.12. – Rhein-Main-Gebiet) entschied das BVerwG erstmals, dass § 47 Abs. 1 BImSchG einem eingetragenen Umweltverband eigene Rechte i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO gewährt und dieser die Aufstellung eines den zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts entsprechenden Luftreinhalteplans im Wege der allgemeinen Leistungsklage verlangen kann. Infolgedessen konnten Umweltverbände das Vollzugsdefizit bei der Umsetzung wirkungslos gebliebener Luftreinhaltepläne justiziabel machen.
In der Folge hatte das BVerwG über Klagen von Umweltverbänden auf Aufnahme geeigneter Maßnahmen zur Reduzierung der Stickstoffdioxid-Belastung in Luftreinhaltepläne zu entscheiden (BVerwG Urt. v. 27.02.2018 – 7 C 26.16 – Düsseldorf,– 7 C 27.16 – Stuttgart; BVerwG Urt. v 27.2.2020-7C 3/19, NVwZ 2020, 1191 Reutlingen; BVerwG Urt. v. 28.5.2021-7 C 4.20 Hamburg).
Rechtlich geht es um eine erforderliche Fortschreibung eines Luftreinhalteplans gemäß § 47 BImSchG und erforderliche Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörde nach § 40 BImSchG zur Verbesserung der Luftqualität. Luftreinhaltepläne sind Fachpläne, wie sie in Kapitel 23 beschrieben werden. Allerdings enthält das BImSchG mit § 47 Abs. 6 BImSchG eine allgemeine Verpflichtung und mit § 40 Abs. 1 BImSchG eine verkehrsrechtliche Ermächtigung, diese Pläne auch umzusetzen. Das unterblieb.
Gemäß § 44 ff BImSchG haben die in der niedersächsischen Zuständigkeitsverordnung UmArbZustVO [März 800-2] Ziffer 8.119 aufgeführten Kommunen die Luftqualität zu überwachen und Maßnahmen einzuleiten, um eine ausreichende Luftqualität sicherzustellen. Lässt sich dies langfristig nicht erreichen, sind insbesondere die Emissionsgrenzwerte in der 39. BImSchVO [Sart. Erg. 296/39] dauerhaft überschritten, sind die Kommunen aufgrund § 47 Abs. 1 BImSchG verpflichtet, Luftreinhaltepläne aufzustellen. Die 39. BImSchVO setzt die Richt- linie 2008/50/EG vom 20.05.2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa um. Ihre Grenzwerte liegen also nicht im Ermessen des nationalen Gesetzgebers.
Der Luftreinhalteplan nach § 47 Abs. 1 BImSchG legt die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen fest. Die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans müssen geeignet sein, den Zeitraum der Überschreitung von bereits einzuhaltenden Emissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten. Gemäß § 47 Abs. 6 BImSchG müssen die zuständigen Behörden die Maßnahmen, welche Luftreinhaltepläne festlegen, durch Anordnungen durchsetzen.
174 Gaus/Padberg/Kaiser Die verwaltungsrechtliche Klausur im Assessorexamen in Niedersachsen
Das BVerwG hatte über eine Situation zu entscheiden, in der sich der Luftreinhaltungsplan als wirkungslos erwiesen hatte, aber niemand tätig wurde. Nach den Urteilen vom 27.2.2018 können Kommunen verpflichtet
werden, Luftreinhaltepläne um die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung der gemittelten Grenzwerte zu ergänzen. Erweist sich dabei ein auf bestimmte Straßen (nicht für große Teile des Stadtgebietes) beschränktes Verkehrsverbot für (bestimmte) Dieselfahrzeuge als einzig geeignete Maßnahme zur Ein- haltung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte, muss diese Maßnahme ergriffen werden. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind dabei Ausnahmen (Anwohner) zuzulassen und Fahrverbote für ganze Zonen können nur phasenweise nach Schadstoffklassen gestaffelt eingeführt werden.
§ 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG schafft eine immissionsschutzrechtliche Ermächtigungsgrundlage der Straßen- verkehrsbehörde für Fahrverbote zur Umsetzung des ggf. fortzuschreibenden Luftreinhalteplans. Dies ist mit den Mitteln des Straßenverkehrsrechts durch Verwendung der Zeichen 251, 270.1 oder 270.2 aus der Anlage zu § 41 Abs. 1 StVO auch möglich. Das BVerwG erlaubt auch die Schaffung neuer, nicht in der StVO enthal- tener Zusatzzeichen. Die fehlende Verordnung gemäß § 40 Abs. 3 BImSchG hielt das BVerwG wegen der 35. BImSchVO (grüne KFZ Plakette) für entbehrlich.
A. Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung
Haben Sie in der Klausur die Ablehnung eines Antrags auf Anlagengenehmigung zu prüfen, so verschaffen Sie sich zuerst Klarheit über das Verfahrensziel. Das Interesse richtet sich auf einen begünstigenden Verwal- tungsakt, ist also ein Verpflichtungsinteresse.
Richtet sich die Kritik des künftigen Anlagenbetreibers aber nur gegen die Auflage eines Genehmigungsbescheides handelt es sich um eine Teilanfechtung, weil die Auflage die belastende Teilregelung eines eben doch nicht gänzlich abgelehnten begünstigenden VA ist.
Vor Erhebung der Klage ist ein Vorverfahren nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 lit. b) NJG statthaft und durchzuführen. Bei Erfolglosigkeit des Widerspruchs erhebt der Anlagenbetreiber eine Verpflichtungsklage gegen die Versagung der Genehmigung oder eine Anfechtungsklage gegen die Auflage. Die Inanspruchnahme des einstweili- gen Rechtsschutzes neben der Verpflichtungsklage in Form der einstweiligen Anordnung gestaltet sich schwierig, weil die Sicherungsanordnung nur den bestehenden Zustand aufrechterhält. Daran ist der künftige Anlagenbetreiber nicht interessiert. Er möchte bauen. Die Regelungsanordnung darf nicht die Hauptsache vorweg- nehmen. Der Antragsteller wird aber kein Interesse an der nur einstweiligen Errichtung einer Anlage haben; einstweiliger Rechtsschutz ist daher bei dieser Verpflichtungsklage selten.
Materielle Anspruchsgrundlage ist § 6 BImSchG i. V. m. § 4 BImSchG.
Formelle Voraussetzung ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BImSchG ein schriftlicher Antrag. Die zuständige Behörde ist Ziff. 8 der Anlage zur UmArbZustVO [März Nr. 800-2] zu entnehmen. Innerhalb des Verfahrens unterscheidet sich die ordnungsgemäße Verfahrensart danach, ob es sich um ein förmliches Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG (mithin ein Verfahren, welches in § 2 der 4.BImSchVO sowie deren Anlage besonders gekennzeichnet ist) oder um ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren nach § 19 BImSchG handelt. Bei der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit der Ablehnung prüfen Sie, ob eine Anhörung stattgefunden hat. War das nicht der Fall, prüfen sie ob die Anhörung vor Ablehnung entbehrlich war, weil die Behörde nicht von den Angaben im Antrag zu Lasten des künftigen Anlagenbetreibers abwich, § 28 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG.
Materiell-rechtlich ist die Genehmigung gemäß § 6 BImSchG zu erteilen, wenn die formalen Anforderungen des § 4 BImSchG (Genehmigungserfordernis) und die materiellen Anforderungen der auf den §§ 5, 7 BImSchG beruhenden Rechtsverordnungen erfüllt sind. Der Anlagenbegriff ergibt sich gemäß § 4 BImSchG i. V. m. An- lagenbeschreibung aus der 4. BImSchVO. Dort werden den Anlagen je nach Überschreiten bestimmter Schwellenwerte drei Verfahrensarten zugeordnet:
- Verfahren gemäß der Industrie-Emissionsrichtlinie 2010/75/EU,
- Verfahren nach § 10 BImSchG mit Öffentlichkeitsbeteiligung (ähnlich dem Aufstellungsverfahren eines B- Plans oder dem Verwaltungsverfahren zum Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses),
- vereinfachtes Verfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß § 19 BImSchG. Die materiellen Anforderungen sind hier nicht darstellbar, sie ergeben sich aus den einzelnen technischen Regelwerken, die von der Genehmigungsbehörde (Landkreis oder staatliches Gewerbeaufsichtsamt) einzeln abzuarbeiten sind
Sofern die Voraussetzungen vorliegen, besteht im Rahmen der Rechtsfolge ein Anspruch auf die Genehmigung.