Leseproben der 14. Auflage
19 Die verwaltungsrechtliche Klausur im Assessorexamen in Niedersachsen Gaus/Padberg/Kaiser
III Begründung des Verwaltungsaktes
Die nach § 39 Abs. 1 VwVfG erforderliche Begründung gliedert sich in einen Sachverhalt und eine rechtliche Würdigung, innerhalb der rechtlichen Würdigung sind die Hauptsacheentscheidung sowie die Nebenentscheidungen zu begründen. Leiten Sie die Begründung durch das Wort „Begründung“ ein.
1. Sachverhalt
Übersicht: Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts
-objektiver Sachverhalt
-Argumente des Bürgers im Konjunktiv
Der Sachverhalt enthält keine Überschrift, er wird mit „I“ gekennzeichnet. In diesem Teil ist gefordert, den entscheidungs-erheblichen Sachverhalt mitzuteilen. dieser bestimmt sich auch danach, ob die Entscheidung zugunsten oder zulasten des Bürgers getroffen wird. Wenn sie eine Entscheidung zugunsten des Bürgers treffen, ist nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG eine Begründung nicht erforderlich. Wir empfehlen die Formulierung eines einleitenden Satzes, der noch einmal den Streitgegenstand zusammenfasst, etwa:
Mit Ihrem Antrag begehren Sie die Erteilung einer Baugenehmigung.
Sofern Sie eine Entscheidung zulasten des Bürgers treffen, darf der Sachverhalt nicht zu kurz geraten und hat alle wesentlichen Tatsachen zu enthalten, die für die Begründung Ihres Tenors von Bedeutung sind; er darf keine Aspekte auslassen, die in der rechtlichen Begründung auftauchen. Eine strikte Reihenfolge ist nicht vorgesehen, wir empfehlen einen chronologischen Aufbau, der zunächst die objektiven Tatsachen darstellt und anschließend alle Argumente des Bürgers und dessen wesentliche rechtlichen Argumente einschließt, um diese in der rechtlichen Würdigung aufzugreifen. Beachten Sie, dass Sie kein Urteil schreiben, sondern sich direkt an den Bürger wenden, sodass Sie nicht von „dem Antragsteller“ sprechen, sondern diesen mit „Sie“ anreden. Übertragen Sie die Begrifflichkeiten aus dem Zivilrecht und verwenden sie bei Tatsachen die Formulierung „Sie behaupten“ und bei Rechtsansichten die Formulierung „Sie sind der Ansicht“. Argumente der Behörde im Konjunktiv sind fehl am Platz, Ihre eigenen Argumente als die den Verwaltungsakt erlassende Behörde stehen fest.
Achten Sie hierbei auf eine adressatengerechte Sprache und denken Sie daran, dass die Amtssprache nach § 23 Abs. 1 VwVfG Deutsch ist; lateinische Begriffe sind nicht adressatengerecht und fehl am Platz. Achten Sie ebenfalls darauf, dass Sie die Tatsachen objektiv darstellen und noch keine rechtliche Würdigung vornehmen.
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2. Rechtliche Würdigung
Übersicht: Darstellung der rechtlichen Würdigung (Eingriffsverwaltung)
- Hauptsacheentscheidung
- Rechtsgrundlage
- formelle Rechtmäßigkeit
- Zuständigkeit
- Verfahren
- Form
- materielle Rechtmäßigkeit
- Tatbestandsvoraussetzungen
- unbestimmte Rechtsbegriffe
- Prognoseentscheidungen
- Tatbestandsvoraussetzungen
- Rechtsfolge
- Ermessen, insb. Verhältnismäßigkeit
- legitimes Ziel
- Geeignetheit
- Erforderlichkeit
- Angemessenheit
- intendiertes Ermessen
- kein atypischer Fall
- gebundene Entscheidung
- keine Verhältnismäßigkeitsprüfung
- Ermessen, insb. Verhältnismäßigkeit
- Nebenentscheidungen
o Anordnung der sofortigen Vollziehung
o Androhung von Zwangsmitteln
o Kostenentscheidung
Die rechtliche Würdigung folgt ebenfalls ohne Überschrift, sie wird durch „II.“ gekennzeichnet. Sofern Sie eine Entscheidung zugunsten des Bürgers treffen, formulieren Sie lediglich einen einleitenden Satz, in dem Sie feststellen, dass der Bürger einen Anspruch auf die begehrte Handlung hat. Andernfalls ist eine vollständige rechtliche Würdigung aller im Sachauszug angelegten und für den Bürger relevanten Aspekte vorzunehmen. Leiten Sie in diesen Fällen Ihre rechtliche Würdigung durch einen Einleitungssatz ein, etwa: Meiner Entscheidung liegen folgende rechtliche Erwägungen zugrunde:
Im Rahmen der rechtlichen Würdigung verwenden Sie keine Zwischenüberschriften oder Nummerierungen; beschränken Sie sich auf die Kennzeichnung der oben nummerierten Tenorierungspunkte (zu Ziff. 1; zu Ziff. 2). In die rechtliche Würdigung gehören nur Punkte, die auch für den Bürger relevant sind; andere rechtliche Erwägungen gehören in den anschließend zu fertigenden Vermerk. In der rechtlichen Würdigung handeln Sie die einzelnen Punkte Ihres Tenors nacheinander ab und verwenden durchgehend den Urteilsstil. Vermeiden Sie Füllwörter wie „auf jeden Fall“, „unproblematisch“ oder „offensichtlich“. Eine gute Struktur lässt sich nur mit Einleitungsätzen und Obersätzen gewinnen. Ihre Begründung hat von dem Gesetz aus zu erfolgen, sodass Sie alle relevanten Normen benennen und genau zitieren.
a. Begründung der Hauptsacheentscheidung
Beginnen Sie Ihre Hauptsacheentscheidung gerade bei einer Entscheidung auf Antrag mit einem einleitenden Ergebnissatz, etwa:
Sie haben (k)einen Anspruch auf die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis nach § 18 NStrG.
Abhängig davon, ob Sie sich im Rechtmäßigkeitsaufbau oder im Anspruchsaufbau befinden, nennen Sie die
Rechtsgrundlage bzw. Anspruchsgrundlage und geben Sie deren Wortlaut wieder, etwa: Rechtsgrundlage für eine Gewerbeuntersagung ist § 35 Satz 1 GewO. Danach…; oder Anspruchsgrundlage für die Erteilung einer Baugenehmigung ist § 70 Abs. 1 NBauO. Danach…; oder Rechtsgrundlage für die Untersagungsverfügung ist § 79 Abs. 1 Satz 2 NBauO. Danach…
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Formulieren Sie die weitere rechtliche Würdigung genauso, wie Sie es zuvor in Ihrer Lösungsskizze samt Stichworten vermerkt haben. Im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit wäre dies etwa
Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Ich bin gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 NBauO für den Erlass von Untersagungen zuständig. Ich habe das Verfahren ordnungsgemäß eingehalten, denn ich habe die Angelegenheit mit Ihnen gemäß § 79 Abs. 4 NBauO ordnungsgemäß erörtert. Ich habe Ihnen mit Schreiben vom… die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben, [wovon Sie mit Schreiben vom… Gebrauch gemacht haben].
Bedenken Sie, dass Sie im Ausgangsbescheid keine Ausführungen zur Form vornehmen, da Sie sich gerade in der Begründung befinden und dem Formerfordernis damit Genüge tun.
Auch die materielle Rechtmäßigkeit bzw. die materiellen Voraussetzungen wird/werden durch einen Obersatz eingeleitet,
etwa:
Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
Die Tatbestandsmerkmale liegen vor…
Nicht ausreichend in der rechtlichen Würdigung ist die bloße Wiederholung des Sachverhaltes. Gefordert ist vielmehr eine Subsumtion, mithin eine eigene rechtliche Bewertung des Sachverhaltes unter das jeweilige Tatbestandsmerkmal. Sie sollten jedes Tatbestandsmerkmal nennen, unbestimmte Rechtsbegriffe samt einem Maßstab definieren und anschließend unter den Sachverhalt subsumieren; versuchen Sie hierbei Schwerpunkte zu setzen. Damit Sie nicht Gefahr laufen, lediglich den Sachverhalt zu wiederholen, raten wir Ihnen, nicht ein Sachverhaltselement isoliert aufzuschreiben, sondern stets die Sachverhaltsangabe in einem „Vor-Satz“ anzudeuten und dieses mit einer eigenständigen Bewertung aufzugreifen, etwa:
Dadurch, dass… vorliegt, kann nicht… oder
Soweit Sie der Ansicht sind, dass…, ist dem entgegenzuhalten,…
Im Rahmen der Rechtsfolge unterscheiden Sie danach, ob es sich um eine gebundene Entscheidung oder um eine Ermessensentscheidung handelt. Sofern es sich um eine gebundene Entscheidung handelt, folgt keine weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung.
Soweit es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, stellen Sie gemäß § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG dar, von welchen Ermessenserwägungen Sie sich haben leiten lassen sowie dass die Entscheidung verhältnismäßig ist. Um zu zeigen, dass es sich bei der Verhältnismäßigkeit um einen Teil des Ermessens handelt, stellen Sie vor die Verhältnismäßigkeitsprüfung das Wort „insbesondere“. Die Klausurleistung ist eine strukturierte Darstellung der unterschiedlichen Erwägungen, die auf keinen Fall zu einer „allgemeinen Abwägung“ führen darf. Nennen Sie in einem ersten Schritt das Ziel der Vorschrift und zeigen Sie in einem zweiten Schritt mögliche Handlungsalternativen auf, um das gesetzte Ziel zu verwirklichen. In einem dritten Schritt treffen Sie eine Auswahl der Handlungsmöglichkeiten, etwa nach der Bedeutung und dem konkreten Anlass für die Handlung, dem Ausmaß des Eingriffes, der Schnelligkeit der Maßnahme, der Sicherheit der Erreichung des Geset- zeszweckes sowie Nebenfolgen für Dritte. Eine „unstrukturierte allgemeine Abwägung“ lässt sich dadurch vermeiden, dass vor der eigentlichen Subsumtion unter die abzuwägenden Rechtsgüter die unterschiedlichen Interessen abstrakt gegenübergestellt werden und erst im Anschluss eine auf den Einzelfall bezogene Bewertung erfolgt.
Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist strukturiert und vollständig darzulegen. Zunächst ist das legitime Ziel zu nennen, anschließend die Geeignetheit sowie die Erforderlichkeit und letztlich die Angemessenheit in Form einer Zweck-Mittel-Relation.
Ein Formulierungsvorschlag lautet:
Von dem mir nach… zustehenden Ermessen habe ich dahingehend Gebrauch gemacht, als ich… dabei habe ich Ihre Belange berücksichtigt, insbesondere… Ihre Belange mussten jedoch gegenüber… zurückstehen. Insbesondere ist die Entscheidung verhältnismäßig…
Sofern Sie Nebenbestimmungen nach § 36 VwVfG erlassen, ist zunächst deren Rechtsgrundlage zu nen- nen. Im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit müssen Sie beachten, dass aufgrund der Belastung mit einer Nebenbestimmung zunächst eine Anhörung nach § 28 Abs. 1 VwVfG zu erfolgen hat. In der materiellen Rechtmäßigkeit ist besonderer Wert auf die Verhältnismäßigkeit der Nebenbestimmung einzugehen.
b. Begründung der Nebenentscheidungen
aa. Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung
Sofern Sie die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO anordnen, ist nach § 80 Abs. 3 VwGO eine gesonderte Begründung des besonderen Vollzugsinteresses notwendig. Stellen Sie hierbei in einem ersten Schritt das besondere Vollzugsinteresse dar, welches gegenüber dem Aussetzungsinteresse hervortritt,